Im Tessin gibt es oberhalb von Lavertezzo eine Sammlung alter Rusticcis (Steinhäuser) in Revöira, die vom 16. bis weit ins 20. Jahrhundert im Frühling und Herbst von Hirt:innen genutzt wurden. Doch es sind nicht einfach ein paar weitere hübsche Steinhäuschen, sondern dazu noch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Denn die Kühe und Ziegen benötigten bei intensiver Nutzung rund 4000 Liter pro Tag.
Doch woher kriegt man mitten im Berg so viel Wasser? Sechs Zisternen und etliche Brunnen sammelten Regen- und Grundwasser und hatten insgesamt ein Fassungsvermögen von über 40’000 Litern. Während die verstellbaren Holzrinnen noch relativ einfach herzustellen waren, waren die Brunnen schon deutlich aufwändiger: Dafür wurde nämlich einfach ein grosser Stein genommen und mit vielen Menschen und ein paar Tagen Zeit ausgehölt, so dass eine ziemlich schicke Wanne entstand. Das Bewässerungssystem gehörte allen, denn alle waren daran beteiligt und darauf angewiesen.
Warum ich dir das alles erzähle?
Weil mein Urlaub im Tessin im Frühsommer mir unglaublich gut getan hat 😉 Und weil das ein Beispiel aus der realen Welt von Commons sind. Und genau das brauchen wir auch in der digitalen Welt.
Was sind Commons?
Das Bewässerungssystem in Revöira kann man als Allmend oder als Commons bezeichnen.“Commons sind gemeinsam hergestellte, gepflegte und genutzte Produkte und Ressourcen unterschiedlicher Art.“ (Commons-Institut). Das können Gewässer, Böden, Software, Internetbrowser oder Saatgut sein. Mithilfe von Selbstorganisation und einer Gemeinschaft wird sie allen zur Verfügung gestellt.
Auch wenn es heutzutage fast keine solche Commons mehr in der realen Welt gibt, ist das Internet sozusagen als Commons aufgebaut worden. Das World Wide Web wurde 1991 ohne Patentierung, oder Lizenzen für alle zur freien Verfügung gestellt. (Und ja, ich weiss, dass die ganz ursprünglichen Versuche vom Militär im kalten Krieg aufgebaut wurden).
Was zwei Jahre vor meiner Geburt so toll angefangen hat, ist unterdessen dominiert von Giganten, die nicht mehr nach dem „Commons-Gedanken“ handeln, sondern ein riesiges Geschäft daraus erstellt haben.
Was sind denn Commons im Internet?
Die Sache mit den Urheberrechte
Denn wie nun auch in der physischen Welt ein System wie in Revöira kaum mehr denkbar ist (es gibt aber schon wieder Projekte, die Land in Commons umwandeln), sondern jeder Zentimeter Land teuer verkauft wird und auch Wasser kein freies Gut mehr ist, ist auch im Internet vieles nicht mehr „frei“. Bilder, Texte und Songs werden urheberrechtlich geschützt. Wer aus Versehen was falsch macht, muss mit teuren Abmahnungen rechnen.
Zum Thema Urheberrechte und KI hat Andreas von Gunten auch im Februar am Winterkongress der Digitalen Gesellschaft Schweiz einen Vortrag gehalten. Die Kernbotschaft von Andreas war: Urheberrechte schützen nicht die Schaffenden. Einmal mehr profitieren natürlich die grossen Firmen, nicht das Volk.
Etwas weiter ausgeholt, erklärte Andreas, dass in der Romantik die Idee vom Genie aufkam, welches grandiose Werke hervorgebracht hat, und zwar „ganz aus sich selbst“, obwohl viele Künstler:innen oft sagen, dass „es einfach schreibt“ oder sie von der „Muse geküsst“ wurden.
Aber sind wir mal ehrlich: Alle Kreativschaffenden, ja alle Menschen lernen von einander. Werke von anderen inspirieren – das war schon so mit der von Bethoven komponierten 9. Symphonie, welche die „Ode an die Freude“ von Schiller enthält.
Wir schauen ab, kopieren und finden dann einen eigenen Stil. Der teuer verkauft wird, wenn man ein Star ist und ansonsten eh kein Geld einbringt…
Aber wie ist es gerechtfertigt, dass 70 Jahre nach dem Tod von Künstler:innen die Erben immer noch Urheberrechte auf die Werke der Verstorbenen haben? Ein absurdes Beispiel: Die Erben von Loriot wollten den Satz „Früher war mehr Lametta“ unter Urheberrecht stellen. Damit sind sie zum Glück nicht durchgekommen.
Wie wär es stattdessen mit einer Welt ohne Urheberrechte?
Das würde heissen, dass wir statt dem Werk, die Arbeit entlohnen sollen. Und ja, das hiesse auch, dass die grossen Stars weniger verdienen (und damit hab ich kein Problem). Denn ausser du wirst der neue Picasso oder Loriot, wirst du nicht wegen den Urheberrechten reich. Und Künstler:innen machen Kunst ja meist nicht, weil sie Picasso werden wollen, sondern weil sie ihre Kunst, ihren kreativen Ausdruck einfach lieben, brauchen und geniessen. (Meine Mandalas verkauf ich auch nicht grad oft, trotzdem hör ich nicht auf, sie zu designen, weil ich es einfach liebe).
Ohne Urheberrechte könnten wir alle viel freier und kreativer gestalten. Das heisst nicht, dass du kein Geld mit Kunst verdienen kannst. Gedruckte Bücher, Bilder auf Leinwand, gedruckte Fotografien,… sind ja tatsächlich hergestellte Exemplare. Bei der digitalen Ausgaben von Werken „kann man ja eigentlich keine Kopie verkaufen, weil die Kopie beliebig oft, ohne Mehrkosten hergestellt werden kann“ (Andreas Von Gunten).
Also habe ich den ersten Schritt Hüpfer gewagt und meine Webseiten unter die Creative Common Licence gestellt.
Was können wir tun für mehr Commons im Internet?
Open Source nutzen
Viele Commons im Internet haben die Giganten glücklicherweise überlebt. Wikipedia und Firefox sind gute Beispiele. Egal Software oder Internetbrowser, achte darauf, dass der Code quelloffen und frei verfügbar ist. Warum Open Source so toll ist, hab ich in diesem Artikel schon erklärt 🙂 Gute Alternativen zu so ziemlich allem findest du auf alternativeto.net. Und glaub mir, das ist wie die Sache mit dem Einkaufszettel: Egal was du kaufst und welche Seiten du besuchst – du bewegst die Welt mit jedem Klick und Kauf in eine gewisse Richtung. Wenn du nicht willst, dass Google die Welt übernimmt, dann nutz weniger davon 🙂 Mein Partner Felix hat auf seinem Blog Digitales Empowerment da gute Tipps 🙂
Creative Commons Lizenzen nutzen
Wie oben erwähnt, habe ich meine Webseite unter die Creative Common Licence gestellt. D.h. dass meine Texte und Bilder von anderen frei verwendet werden dürfen (mit gewissen Einschränkungen). Es gibt viele verschiedene Arten der Lizenz, genaueres kannst du dir hier lesen.
Arbeit statt Werk bezahlen lassen
So, jetzt begeb ich mich auf ganz dünnes Eis. Lass dich für deine Arbeit bezahlen, nicht für dein Werk. Falls du ein Onlinebusiness mit passivem Einkommen anstrebst oder schon aufgebaut hast, wird dir das nicht gefallen. Und ja, ich kann die Verlockung schon verstehen. Nur, dass meistens das passive Einkommen gar nicht so passiv ist. Anstatt also für Onlinekurse fett zu kassieren, würdest du eine Leistung verkaufen (Coaching, Austauschgruppen, …) und den Onlinekurs vielleicht stattdessen Crowdfunden und danach allen frei zur Verfügung stellen. So verdienst du immer noch damit, aber eben nicht unendlich viel. Auch Fotos, Grafiken etc. könnte man so frei zur Verfügung stellen.
Etwas zur Gemeinschaft beitragen
Du hast Glück, du musst nicht stundenlang einen steinharten Stein bearbeiten, um ein Regenfass herzustellen. Aber der Gedanke ist der Gleiche. Auch wenn der Individualismus und Liberalismus uns vielleicht glauben lassen, dass wir total unabhängig sein können, ist das ein absoluter Irrglaube. Wir sind so vernetzt wie noch nie zuvor. Ein Krieg, ein einziger Virus und wir merken, dass alles mit allem verbunden ist (ja ja, ich weiss, Spirigeschwätz). Wir haben einander schon immer gebraucht. Und das ist doch auch schön – denn (Warnung: noch so ein Klassikerspruch) gemeinsam sind wir stärker.
Und auch wenn es sich vielleicht oft nicht danach anfühlt, tragen wir ständig zur Gemeinschaft bei. Pflegekräfte, Landwirt:innen und Webdesigner:innen – es braucht uns alle, damit das System funktioniert.
Gerade im Internet können wir einfach etwas zurückgeben, einen Teil beitragen und somit alle daran teilhaben lassen. Egal ob du Wikipedia-Artikel erfasst, einen Blog hast, die Karte auf Open-Street-Map ergänzt oder in einem Forum aktiv bist. Viele Open-Source basierte Projekte nehmen sonst auch gerne Spenden entgegen 😉
Fallen dir weitere Möglichkeiten für Commons im Internet ein? Dann kommentier gerne oder schreib mir 🙂